Technischer Rundgang: «Nicht nur Frauen und schöne Autos»

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Zum 20. Mal fordert ein Technischer Rundgang am Auto-Salon den Berufsnachwuchs im Autogewerbe. Eine Erfolgsgeschichte, die untrennbar mit dem Namen Andreas Lerch verbunden ist. Sandro Compagno, Redaktion

 

Dass Andreas Lerch in diesem Jahr zum 20. Mal einen Technischen Rundgang am Genfer Salon erstellt, entspricht zwar der offiziellen Lesart, ist aber nicht ganz korrekt. Als junger Berufsschullehrer in Langenthal beabsichtigte Lerch Mitte der 1990er-Jahre, mit einer Klasse angehender Auto-Mechaniker den Auto-Salon zu besuchen. Kein gänzlich unproblematisches Unterfangen; «Der Rektor beschied mir, er erlaube die Exkursion nur unter der Bedingung, dass ich mir für die Schüler etwas einfallen lasse.» Andreas Lerch entwickelte einen Parcours durch den Salon. An vorgegebenen Ständen hatten seine Schüler verschiedenste Fragen schriftlich zu beantworten.

Die Idee des Technischen Rundgangs war geboren und fiel auf fruchtbaren Boden. Andere Lehrer wurden auf das Projekt aufmerksam und regten an, die Teilnahme auch ihren Schülern zu ermöglichen. Und so begann 1998 offiziell die Geschichte des technischen Rundgangs am Genfer Auto-Salon. Eine logistische Herausforderung in einer Zeit ohne Internet und E-Mail: «Ich benötigte einen zuverlässigen Partner, der in Genf einen Stand am Salon betrieb und bereit war, die Unterlagen zu kopieren.» Denn aus dem Klassen-Ausflug mit 20 Lernenden wurde rasch ein Grossprojekt mit mehr als 1000 Teilnehmenden! Lerch fand diesen Partner in der ESA, welche die Aufgabe übernahm, innert kürzester Zeit mehr als 1000 Kopien des mehrseitigen Fragenkatalogs für die Lernenden zu erstellen. Die ESA steht Andreas Lerch bis heute zur Seite und stiftet via MechaniXclub jeweils die Wettbewerbspreise, die als zusätzliche Motivation winken.

 

Auch der AGVS unterstützt den Technischen Rundgang. Methoden-, Sozial- und Fachkompetenz Ein Automobil-Mechatroniker im vierten Lehrjahr sollte die Fragen des Parcours beantworten können, für Lernende der unteren Lehrjahre sind die Aufgaben schwieriger. Wie sie die Posten abarbeiten, ist den jungen Leuten selbst überlassen – ein gutes Zeitmanagement ist Voraussetzung, damit sie sowohl den Technischen Rundgang absolvieren können, als auch Zeit und Musse finden, jene Stände und Automarken zu besuchen, für die sie sich interessieren.

«Der Rundgang ist ein Muster eines Lernprozesses, mit dem sowohl die Methoden-, die Sozial- wie auch die Fachkompetenz gesteigert werden kann», erklärt Andreas Lerch. Abgeschlossen wird die Übung in der folgenden Schulstunde mit einer Nachbearbeitung. Dazu erhält der Lehrer eine CD-Rom mit der gesamten Dokumentation des Rundgangs – alle Bilder in hochaufgelöster Version sowie eine Powerpoint-Präsentation mit rund 50 Folien. Für Andreas Lerch bedeutet das vor allem eines: viel Arbeit und einen extrem engen Zeitplan. Er besteigt am ersten Pressetag – das ist immer ein Dienstag, heuer der 7. März –  den ersten Zug nach Genf, wo er um 8.00 Uhr eintrifft. Bis am Abend sucht er geeignete Modelle und erstellt den Parcours: «Ich weiss, welche Marken mir wohlgesinnt sind.» Auf dem Rückweg entwirft er noch im Zug den Fragenkatalog, den er in der Nacht auf Mittwoch an seinen Berufskollegen Eric Schaer in Reconvilier schickt. Schaer ist bilingue und übersetzt die Texte in einer Nachtschicht ins Französische. Am Mittwochmorgen um 8.oo Uhr muss der Katalog an die Berufsschullehrer versandt werden, von denen die ersten bereits am Donnerstag mit ihren Klassen nach Genf reisen. Dann ist auch Andreas Lerch wieder am Salon und schiesst Fotos für die Powerpoint-Präsentation – sofern er nicht unterrichtet.

Der 60-Jährige ist an der Berufsschule Lenzburg in der Grund und Weiterbildung tätig und schreibt im Nebenamt für die Zeitschrift «Auto&Technik». Die CD-Rom für seine Lehrerkollegen produziert er am Wochenende; sie muss zwingend am Montag auf die Post, weil jene Klassen, die den Salon am ersten Donnerstag besucht haben, am nächsten Donnerstag mit der Nachbearbeitung beschäftigt sind.

 

Qualitätsabbau auf dem Buckel der Lernenden
Die Teilnehmerzahlen am Technischen Rundgang haben sich bei rund 1200 Lernenden eingependelt. Die Zahl liegt deutlich unter der Rekordbeteiligung von 1853 angemeldeten Teilnehmenden im Jahr 2009. «Es ist eine politische Frage», erklärt Andreas Lerch führt am Beispiel des Kantons Luzern aus: «Aus Spargründen gibt es an den Luzerner Gymnasien und Berufsschulen eine Woche mehr Ferien. Weil der Schulstoff in weniger Zeit vermittelt werden muss, verzichten die Berufsschullehrer auf den Besuch am Auto-Salon.» Ein Qualitätsabbau auf dem Buckel der Lehrer und folglich der Lernenden.

Immer auf dem neusten Stand
Trotz Sparübungen in vielen Kantonen besuchen rund 70 Prozent der Berufsschulen den Salon. Das lohne sich immer, findet Andreas Lerch und erzählt nicht ohne Stolz, dass er sämtliche relevanten Neuerungen der letzten Jahre in seinem Technischen Rundgang thematisiert habe: «Schon 1996 stellte ich eine Frage zur Benzin-Direkteinspritzung, die Mitsubishi eingeführt hatte; später kamen die Wasser-Einspritzung oder der VCR-Motor von Saab...»
Während die Schüler die Aufgaben lösen, haben die Lehrer Zeit, sich an den einzelnen Arbeitsstationen umzusehen, die Schüler zu beobachten und nötigenfalls ihre Hilfe anzubieten. Für die Lernenden ist es die Gelegenheit. Schule und Praxis in einer anregenden Umgebung zu kombinieren. Oder um es mit den Worten von Andreas Lerch auszudrücken: «Sie sollen sich am Salon nicht nur für Frauen und schöne Autos interessieren, sondern auch für die ausgestellte Technik...»

 
«In 45 Jahren war kein Tag langweilig»

Herr Lerch, worin besteht Ihre Motivation, diesen Technischen Parcours jetzt schon seit 20 Jahren zu erstellen?
Andreas Lerch: Es ist ganz einfach ein tolles Produkt. Es ist spannend zu sehen, wie sich die Lernenden auf dem Rundgang bewegen: Sie sind interessiert, sie recherchieren, diskutieren, schreiben – ganz anders als jeweils im Schulzimmer... Zudem verfügen wir in den Schulen nie über derart aktuelle technische Modelle, wie sie am Auto-Salon ausgestellt werden. Ein Schnittmodell eines Motors kostet um die 50 000 Franken. Das können wir uns in den Berufsschulen nicht leisten.

Wie hat sich der Rundgang in all den Jahren verändert?
Grundsätzlich hat er sich kaum verändert. Ich gehe durch den Salon, besuche jene Marken, bei denen ich technische Modelle vermute, fotografiere diese und erarbeite die Fragen. Aber das wird zunehmend schwieriger, weil der Salon nicht mehr so technisch ist, wie er einmal war. 13 Posten benötige ich, um die drei A4-Seiten mit den Aufgaben zu erstellen. Mein Ziel sind jeweils 15 Posten, dann habe ich zwei als Reserve.

Welche Schwerpunkte sind 2017 zu erwarten?
Ich weiss nicht, was die Hersteller ausstellen werden. Oft weiss man am Vortag noch nicht, was steht. Es ist auch schon vorgekommen, dass ein Modell, das am Pressetag da war, dem Publikum nicht gezeigt wurde.

Und wie lange wollen Sie weitermachen?
Solange meine Gesundheit mitspielt und der Rundgang besucht wird. Auto-Technik ist ein derart spannendes Gebiet. Automobile begeistern mich seit bald 45 Jahren. In dieser ganzen Zeit war mir kein Tag langweilig!
 
 
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