Grün muss er sein

Interview mit Nicolas Crettenand

Grün muss er sein

27. Februar 2023 agvs-upsa.ch – Die Hydrospider AG hat 2020 beim über 100-jährigen Alpiq-Wasserkraftwerk in Niedergösgen SO die schweizweit grösste Elektrolyseanlage zur Herstellung von grünem, klimafreundlichem Wasserstoff in Betrieb genommen. Welche Herausforderungen dabei und jetzt im Alltag zu bewältigen sind und ob die Schweiz eine Wasserstoff-Strategie benötigt, das verrät Geschäftsführer Nicolas Crettenand.

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Der Geschäftsführer der Hydrospider AG, Nicolas Crettenand, vor Containern mit grünem Wasserstoff in Niedergösgen SO. Foto: AGVS-Medien
 

jas. Mit Wasserstoff fördert die Hydrospider AG hierzulande die Dekarbonisierung des Schwerverkehrs. Zur Trennung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff wird dabei ausschliesslich Strom verwendet, der aus 100 Prozent erneuerbaren Energien produziert wird. Das Unternehmen entstand aus einer Kooperation zwischen Alpiq, H2 Energy und Linde GmbH aus Deutschland. Hydrospider stellt die Beschaffung, Produktion und Logistik von grünem Wasserstoff für das Schweizer Wasserstoff-Ökosystem sicher und hat dazu in Niedergösgen SO die erste Produktionsanlage für grünen Wasserstoff in Betrieb genommen. Nicolas Crettenand gehört seit 2020 und somit praktisch von Beginn weg zum Team von Hydrospider. Als Head of Operations war der Bauingenieur EPFL massgeblich am Aufbau der Versorgungskette des heutigen Ökosystems beteiligt. Seit 1. Juni 2022 ist er Geschäftsführer.
 
Herr Crettenand, die Stromnachfrage steigt, wobei langfristig gesehen die Mobilität durch den Umstieg auf Elektroantriebe 50 Prozent zum Gesamtwachstum beiträgt. Welchen Einfluss hat die Sorge um die Versorgungssicherheit auf die Null-CO2-Mobilität und die Wasserstoffproduktion von Hydrospider?
Nicolas Crettenand: Es gibt zwei Perspektiven: Langfristig geht es um die Dekarbonisierung ganz allgemein. Hier wird es grünen Wasserstoff brauchen, um gewisse Industriezweige oder den Schwerverkehr zu dekarbonisieren. Wir sprechen hier von einer Investition in die Zukunft und dazu braucht es unter anderem Wasserstoff, und zwar grünen Wasserstoff. Dessen Herstellung braucht jedoch Strom und das ist nun der Link zur kurzfristigen Perspektive und der möglichen Strommangellage, die Einfluss auf unsere Produktion nimmt. Wir benötigen eine konstante Leistung von zwei Megawatt, um pro Tag rund 1000 kg Wasserstoff herzustellen. Wenn es diesen Winter zur Strommangellage kommt, dann würden wir eine gewisse Produktionsreduktion vornehmen, um unseren Beitrag an die Versorgungsicherheit zu leisten.
 
Ein Teil der H2-Fahrzeugflotte bliebe dann stehen?
Nicht zwingend. Das hängt davon ab, ob wir den Wasserstoff anderswo besorgen könnten. Wir haben Zugang zu anderen Quellen von Wasserstoff, der den Stromverbrauch in der Schweiz nicht erhöhen würde.
 
Hydrospider arbeitet eng mit Hyundai Hydrogen ­Mobility zusammen, welchen Einfluss hat deren Entscheid, die Flotte in Deutschland aufzubauen statt bereits jetzt weitere Fahrzeuge in die Schweiz zu liefern?
In Deutschland basiert die Förderung der H2-LKW-Flotte auf Subventionen. Ob das nachhaltig ist, ist eine andere Frage. Zudem darf sogar grauer H2 eingesetzt werden. Bei uns in der Schweiz basiert das Projekt auf privaten Investoren. Uns allen war klar, dass zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Elemente im Ökosystem einen Flaschenhals darstellen können. Am Anfang hatten wir in Niedergösgen eine zu grosse Produktion von Wasserstoff, bis die 47 LKW dann auch wirklich auf der Strasse waren. Heute ist der Produktionsausbau der Engpass, weshalb es aktuell wenig Sinn machen würde, weitere LKW auf Schweizer Strassen zu bringen.

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In der Schweiz sind aktuell rund 50 Wasserstoff-LKW unterwegs, die derzeit an zwölf Tankstellen grünen Wasserstoff tanken können. Quelle: AGVS-Medien
 
Ändert sich das bald?
Ja, in Kubel SG ist nun eine Zweimegawattanlage der Wasserstoff Produktion Ostschweiz in der Inbetriebnahme. Am Schiffenensee nahe Fribourg startete die Groupe E den Bau einer Zweimegawattanlage, die in einem Jahr die Produktion aufnehmen sollte. Zwei weitere Zweimegawattanlagen sind bestellt. Das bedeutet insgesamt eine Verfünffachung der aktuell verfügbaren Menge an grünem Wasserstoff, so dass wir mittelfristig über 200 H2-LKW versorgen könnten. Ob alle diese Anlagen bereits 2023 die Produktion starten, werden wir sehen. Aber Anlagen mit total sechs Megawatt Leistung zur Produktion von grünem Wasserstoff wird es sicher geben. Damit könnten wir die Fahrzeugflotte verdreifachen.
 
Wieso zog sich der Ausbau denn so lange hin?
Zum einen wegen Lieferfristen von Anlagenteilen, zum anderen wegen administrativer Bewilligungsverfahren, die klar mehr Zeit in Anspruch nahmen. Es gibt aber teilweise auch Opposition selbst gegen den Bau von Produktionsstätten für grünen Wasserstoff – zwei Projekte in Birsfelden BL und Eglisau ZH wurden aufgegeben. Wir von Hydrospider sind mit unseren Partnern daran, den Produktionsausbau voranzutreiben, stets in Abstimmung mit dem Ausbau der Lastwagenflotte und den Wasserstoff-Tankstellen. Bei letzterem haben wir momentan mit den zwölf Standorten, die in Betrieb sind, ein genügend dichtes Netz. Und es sind weitere vier geplant bis im Sommer 2023. Dass nun H2-LKW nach Deutschland gehen, bringt die Dekarbonisierung des Schwerverkehrs insgesamt weiter voran, was sehr positiv ist. Wir müssen den Ausbau in der Schweiz vorantreiben, dann kommen die nächsten Lastwagen auch wieder hierher.

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Der Geschäftsführer der Hydrospider AG, Nicolas Crettenand

Vorantreiben heisst?
Ausbau der Produktion von grünem Wasserstoff. Neben den erwähnten Projekten plant auch Hydrospider selbst weitere Produktionsanlagen. Wir sind jedoch erst im Bewilligungsverfahren. Es handelt sich um Projekte in der Grössenordnung von jeweils 5 bis 10 Megawatt, wobei wir die Erfahrungen, die wir aus der ersten Anlage in Niedergösgen gezogen haben, einfliessen lassen.

Und dies trotz aktuell hohen und stark ­schwankenden Strompreisen?
Die hohen Strompreise schmerzen tatsächlich. Als erste Massnahme mussten wir bereits im April 2022 den Wasserstoffpreis erhöhen. In unserem Modell ist der Wasserstoffpreis an den Benzinpreis indexiert, damit man bezüglich Total-Cost-of-Ownership über die Einsatzdauer eines LKW hinaus auch eine Äquivalenz gegenüber einem herkömmlichen Diesel-LKW hat. Denn der H2-LKW zahlt beispielsweise keine Mineralölsteuer und auch keine LSVA, dafür ist er in der Akquisition und den Betriebskosten etwas teurer. Diese Indexierung hat funktioniert, solange die Strom- und Benzinpreise sich einigermassen gleichmässig entwickelten, aber mit den Verwerfungen auf dem Energiemarkt, war dies kein realistisches Szenario mehr. Daher mussten wir die H2-Preise damals erhöhen. Die Situation bleibt jedoch sehr herausfordernd für Hydrospider, weil die Strompreise weiterhin sehr hoch sind und teilweise immer noch mehr als das Zehnfache von dem betragen, wo sie noch vor zwei Jahren standen.

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Nicolas Crettenand erklärt das Ökosystem und den Herstellungsprozess für den grünen Wasserstoff und dessen Vorzüge. Quelle: AGVS-Medien
 
Welche Konsequenzen hat das?
Es ist schlicht ein unternehmerischer Entscheid, wie viel die Akteure des Schweizer Wasserstoff-Ökosystems in die Vorleistung gehen. Aktuell sind die Beteiligten davon überzeugt, dass wir das Momentum behalten müssen. Es glauben weiterhin alle daran, dass es der Wasserstoffeinsatz im Schwerverkehr Zukunft hat. Daher werden wir das Ökosystem gemeinsam weiter ausbauen. Das Tempo des Projekts hat sich etwas verändert, aber die eingeschlagene Richtung bleibt gleich.
 
Bislang spricht man ja primär vom ­Schwerverkehr, wie sehen die Perspektiven bei normalen ­Personenwagen mit Brennstoffzellenantrieb aus?
Die Autos bewegen sich im gleichen Ökosystem und können dieselben Tankstellen benutzen. Wir haben die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen. Wir wollen zwar die neue Wasserstoff-Mobilität durch den Schwerverkehr als Zugpferd aufbauen, aber gleichzeitig ermöglichen, dass auch Autos und Busse die aufgebaute Infrastruktur nutzen können. Aktuell wird etwa 90 Prozent des grünen Wasserstoffs von den 47 Hyundai-LKW genutzt und die restlichen 10 Prozent  autos. Unser Fokus bleibt ganz klar auf dem Schwerverkehr, aber wir halten natürlich die Augen auch für andere Anwendungsfelder offen.
 
Welche Geschäftsfelder hat Hydrospider neben der Mobilität für ihren Wasserstoff noch im Fokus?
Es gibt erste Anfragen von Unternehmen aus der Industrie, die Propan- oder Erdgas durch grünen Wasserstoff ersetzen möchten, damit sie nachhaltig produzieren können. Das könnte in der Zukunft für uns interessant werden – sobald das Angebot an grünem Wasserstoff die Nachfrage aus dem Bereich Schwerverkehr oder Mobilität übersteigt. Da jedes Geschäft eine gewisse Vorlaufzeit benötigt, ist es unsere unternehmerische Verantwortung, schon jetzt erste Vorbereitungen zu treffen oder eine Machbarkeitsstudie zu erstellen. Wir gehen aber so oder so davon aus, dass von der Menge her der Absatz im Schwerverkehr für uns dominant bleiben wird.
 
Wie wichtig sind politische Rahmenbedingungen?
Die LSVA-Befreiung für Wasserstoff betriebene Fahrzeuge soll bis 2030 verlängert werden. Unser Vorschlag lautet, dass ein Lastwagen, selbst wenn er beispielsweise erst 2027 auf die Strasse kommt, trotzdem während der gesamten Einsatzdauer von der LSVA-­Befreiung profitiert, da so Investitions- und Betriebskostensicherheit für die Spediteure herrscht. Wir brauchen auch bei der Produktion von grünem Wasserstoff klare Rahmenbedingungen, denn nun wird plötzlich über Subventionen oder auch die Befreiung von Netzabgaben gesprochen, wenn man den Elektrolyseur direkt ans Netz anschliesst. Das sorgt für Unsicherheiten und Verzögerungen bei den Investoren. Ein solches Stopp-und-Go ist suboptimal.
 
Das heisst, es braucht klarere Vorgaben?
Es gibt in der Schweiz zwar eine Roadmap für Wasserstoff, aber die ist noch in Erarbeitung. Man muss klarere Ziele und Rahmenbedingungen für den Einsatz von Wasserstoff in der Schweiz haben – eine Wasserstoff-Strategie wie in Frankreich und Deutschland. Darin muss verankert werden, wie weit auch andere Industriezweige vom Wasserstoff profitieren sollen und wie weit man die Wasserstoff-Nutzung pushen will. Mit unserem Ökosystem hat die Privatwirtschaft vorgelegt und Bund und Behörden ziehen nun nach. Will man Wasserstoff unter anderem über den Schwerverkehr hinaus einsetzen, braucht es eine Strategie. Und um die Versorgungssicherheit in der Schweiz zu garantieren, braucht es schlicht einen Ausbau der erneuerbaren Energiequellen – und zwar schnell.

Weitere Infos unter: hydrospider.ch

 
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